
Die Alphatheorie in der Hundeerziehung
Die Alphatheorie in der Hundeerziehung – ein überholter Mythos, der noch immer Schaden anrichtet
Die Idee zu diesem Beitrag kam eigentlich ganz beiläufig. Mein Mann brachte – im Scherz – das Thema „Alpha“ auf. Für mich, die ich tagtäglich mit Hunden arbeite, ist diese Theorie längst Geschichte, kaum noch der Rede wert. Und doch: Sie ist immer noch da. Zäh hält sie sich in Köpfen, Büchern und leider auch in mancher Trainingsmethode.
Kürzlich hörte ich den Satz:
„Bei Katzen ist ja klar, dass sie ihren eigenen Kopf haben – aber bei Hunden? Die müssen sich doch unterwerfen, oder?“
Mir blieb kurz der Atem weg. Nicht, weil ich böse Absicht spürte – sondern, weil solche Vorstellungen aus einer Zeit stammen, in der man es nicht besser wusste. Und weil sie noch immer so tief verankert sind. Genau deshalb möchte ich heute über dieses Thema schreiben. Es berührt mich, es bewegt mich – und ich wünsche mir so sehr, dass wir endlich damit aufräumen.
Was steckt hinter der Alphatheorie?
Kurz gesagt: Die Alphatheorie geht davon aus, dass Hunde – wie einst der Wolf – in einer starren Rangordnung leben, mit einem dominanten Leittier an der Spitze, dem sogenannten „Alpha“. Dieses Tier beansprucht Vorrang bei Futter, Schlafplätzen, Aufmerksamkeit – und alle anderen müssen sich unterordnen.
Die Ursprünge dieser Theorie liegen in den 1940er-Jahren. Der Schweizer Verhaltensforscher Rudolf Schenkel beobachtete damals Wölfe in Gefangenschaft – und genau hier liegt der Haken. Es handelte sich dabei nicht um natürliche Familienrudel, sondern um fremde, zufällig zusammengesetzte Tiere in einem künstlichen Umfeld. Kein Wunder also, dass sich Konflikte, Spannungen und Rangkämpfe zeigten.
Spätere Studien an frei lebenden Wolfsfamilien zeigten ein völlig anderes Bild: flexible, familiäre Strukturen, geprägt von Kooperation, Fürsorge und Kommunikation – nicht von Unterdrückung und Gewalt.
Warum das für Hunde nicht passt
Hunde sind keine Wölfe. Sie haben sich über Jahrtausende an das Leben mit uns Menschen angepasst. Ihre Sozialstruktur, ihre Bedürfnisse, ihr Verhalten – all das ist längst eigenständig geworden. Hunde sind Partner, keine wilden Rudeltiere. Und vor allem: Sie sind Individuen mit Persönlichkeit, Emotionen und Vertrauen in uns.
Der Begriff „Dominanz“ ist dabei einer der am häufigsten missverstandenen. Dominanz ist keine Charaktereigenschaft. Sie zeigt sich – wenn überhaupt – situativ. Ein Hund kann in einem Moment selbstsicher auftreten, im nächsten zurückhaltend. Ihn pauschal als „dominant“ zu labeln, ist weder fair noch fachlich korrekt.
Warum mich das Thema so bewegt
Ich erlebe es immer wieder: Hundetrainer, die noch heute sogenannte Alphamethoden anwenden. Sie zwingen Hunde in die Unterwerfung, drehen sie auf den Rücken, legen sich im schlimmsten Fall sogar auf sie. Diese Methoden – einst populär gemacht, unter anderem durch TV-Formate – sind nicht nur wissenschaftlich widerlegt, sie sind auch tierschutzrelevant.
Es fällt mir schwer, dafür überhaupt Worte zu finden. Allein beim Schreiben steigt mein Puls. Denn das hat nichts mit liebevoller, klarer Erziehung zu tun. Das ist Machtausübung. Und sie hinterlässt oft tiefes Misstrauen, Angst oder sogar Aggression beim Hund. Besonders tragisch: Gerade bei sogenannten „schwierigen“ Hunden werden diese Methoden oft zuerst ausprobiert – und verschlimmern in vielen Fällen das Problem nur.
Was brauchen Hunde wirklich?
Hunde brauchen keine Alphatiere. Sie brauchen Menschen, die sie verstehen. Die klare Grenzen setzen, ja – aber auf faire, respektvolle und einfühlsame Weise.
Moderne Hundetraining-Methoden basieren auf positiver Verstärkung, auf Beziehung statt Beherrschung. Sie schauen auf den Hund als ganzes Wesen: seine Geschichte, seine Erfahrungen, seine Persönlichkeit. Und genau das ist es, was nachhaltige Veränderung und Vertrauen schafft.
„Rein positiv“? Nein. Aber fair.
Ich höre es schon: „Aber man kann doch Hunde nicht nur mit Leckerli erziehen! Die brauchen Regeln!“
Ja. Absolut. Hunde brauchen Führung, Struktur und Klarheit. Und es stimmt: Auch positive Verstärkung hat ihre Grenzen.
Aber: Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Konsequenz und Gewalt. Zwischen Klarheit und Einschüchterung. Einem Hund eine Leine anzulegen oder ein Training abzubrechen ist nicht dasselbe wie ihn körperlich zu unterwerfen.
Erziehung darf fordernd sein – aber niemals übergriffig. Fairness und Respekt sind für mich keine netten Extras. Sie sind das Fundament jeder guten Mensch-Hund-Beziehung.
Mein Appell
Bitte hinterfragt, wenn euch jemand sagt, ihr müsstet „dominant auftreten“. Wenn jemand grob zu eurem Hund wird. Wenn euch beigebracht wird, Kontrolle durch Angst auszuüben.
Ein guter Hundetrainer bringt euch nicht bei, wie ihr euren Hund klein haltet – sondern wie ihr ihn versteht. Er holt euch dort ab, wo ihr steht – und euren Hund ebenso. Er stärkt euch, anstatt zu verurteilen. Und er schützt die Würde des Hundes, weil er weiss, dass Vertrauen die stärkste Basis ist.
Das ist mein Herzensanliegen.
Für dich. Für deinen Hund. Für ein faires Miteinander.


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