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Was muss (m)ein Hund können?

Diese Frage habe nicht nur ich mir etliche Male gestellt, ich höre die Frage auch von meinen Kundinnen und Kunden immer wieder. Eine Frage, die man sich als Hundetrainer auch bei der Planung der Kurse überlegt.

 

Ich denke, ein Hund muss vorallem mit sich, seiner Umwelt und seinem Alltag zurechtkommen. Und das möglichst stressfrei. Ja genau, das ist sehr unspezifisch. Darum umso wichtiger, dass wir als Hundehalter uns –  idealerweise vor Anschaffung eines Hundes – überlegen, wie unser Alltag aussieht. Und wie der Alltag unseres Hundes aussehen soll. Ist er ab und zu alleine zu Hause? Kann er überall mitkommen? Soll/darf er mit zum Sport? Lebt er mit Kindern zusammen oder muss er mit anderen Haustieren klarkommen? Möchte ich mit meinem Hund Hundesport machen und habe dabei ein Ziel vor Augen (Prüfungen, Einsatz als Rettungs- oder Therapiehund etc.)? Bin ich selber eher gerne zuhause und draussen gemütlich unterwegs oder bin ich ein «Wanderfüdli» und draussen zuhause?

 

Nachdem man sich all diese Fragen ehrlich beantwortet hat, ist die Eingangsfrage einfacher zu beantworten. Dann kommt es natürlich auch sehr darauf an, was für eine Genetik mein Hund mitbringt und ob diese kompatibel ist mit den Anforderungen, die ich an ihn stelle. Beispielsweise wird ein Jagdhund immer eine gewisse Motivation zum Jagen mitbringen und je nach Typ auch noch einen sehr ausgeprägten Willen, das Jagen auszuleben.

 

Als Beispiel aus meinem Leben:

Als Jazz in mein Leben kam, war für mich klar, dass sie mich möglichst viel begleitet. Darum musste es sicher ein sportlicher und agiler Hund für mich sein. Aber auch ein Hund, der bereit ist, mit seinem Menschen zusammenzuarbeiten und sich an ihm zu orientieren. Harley, mein erster Hund musste oft alleine zuhause bleiben weil ich damals noch einen Bürojob hatte. Leider war das für ihn damals das total falsche Leben. Darum wollte ich das für meine Jagdhündin nicht. Zur Klarstellung: es ist völlig okay wenn Hunde mal ein paar Stunden alleine zuhause bleiben. Das muss aber gut trainiert werden und der Hund soll sich nach und nach daran gewöhnen können, alleine zu bleiben.

 

Jazz kam im zarten Alter von 9 Wochen bereits zu mir und hat sich darum von klein auf an meine Regeln und meinen Alltag gewöhnt. Ich habe den Alltag mit ihr gemeistert, ohne gross darüber nachzudenken.

 

Mit Rox hat sich dann einiges verändert. Ich habe mich für einen Hund aus dem Auslandtierschutz entschieden und hatte keine Ahnung, was er so mit sich bringt. Ausser den Infos, dass er ca. 3 Jahre alt ist und alleine auf den Strassen einer ungarischen Stadt umhergeirrt ist, hatte ich keinerlei Informationen über ihn. Natürlich habe ich mir im Vorfeld sehr viele Gedanken gemacht. Was ist mir wichtig? Was soll er können, damit er den Alltag mit uns meistern kann? Was ist mir wichtig, was ist mir nicht wichtig? So entstand dann ein ungefährer Plan.

 

Er muss:

        – Im Auto entspannen können (da ich den Grossteil des Tages im Auto unterwegs  bin)

        – Mit anderen Hunden klarkommen (natürlich, berufsbedingt)

        – Sowohl im Wald als auch in der Stadt klarkommen (wir sind oft an verschiedenen Orten unterwegs)

        – Entspannen, wenn nichts läuft (Homeoffice, Wartezeiten wenn ich arbeite, Restaurantbesuche etc.)

        – Jazz und mich auf unseren Wanderungen und Streifzügen durch die Natur begleiten (Jazz braucht die Bewegung und für mich ist die Zeit mit meinen Hunden im Wald und auf dem Berg die totale Erholung)

Ob er ohne Leine laufen kann, ständig an meinem Bein klebt oder ob er bellt wenn es an der Haustüre klingelt, war mir erst mal nicht so wichtig. Jagd- und Aggressionsverhalten waren auch Zweitrangig, damit kann ich umgehen und arbeiten wenn es soweit ist. Ich hoffte einfach, dass er nicht zu viele grosse Ängste mitbringt. Diesbezüglich hatte ich gottseidank Glück. Er ist aufgeschlossen und neugierig und mag Menschen im Allgemeinen. Das erleichtert natürlich schon einiges.

 

Um die Soll-Liste nun erfüllen zu können, haben wir darum an Entspannung gearbeitet. Anfangs waren Hundebegegnungen noch der reinste Horror. Weil das aber für mich ein absolutes «Muss» ist, haben wir intensiv daran gearbeitet und uns immer wieder in solche Situationen begeben. Immer sehr dosiert und so, dass er (und ich) sich zwar ausserhalb seiner Komfortzone bewegt aber nicht so sehr, dass er überfordert ist. Ganz langsam habe ich ihm Lösungsstrategien nähergebracht und ihm geholfen, sich selber zu regulieren. Nach 6 Monaten haben wir das jetzt super im Griff, er reagiert nicht mehr mit Aggression auf andere Hunde. Er findet Hundebegegnungen zwar noch aufregend, weiss aber inzwischen wie er damit umgehen kann. Darauf bin ich sehr stolz.

 

Das Gleiche gilt für Wald- und Stadttraining. Anfangs war beides noch schwierig, weil die Gerüche im Wald und die visuellen Reize in der Stadt für Rox schwierig auszublenden waren. Dadurch war er relativ schnell überfordert. Auch hier haben wir uns langsam an den Status Quo herangetastet.

Heute waren wir zum ersten Mal auf einer kleinen Wanderung von insgesamt 3 Stunden. Das war die «Generalprobe» auf den nahenden Sommer. Was soll ich sagen? Es ist super gelaufen. Rox ist die ganzen 3 Stunden entspannt mitgelaufen. Eine Situation war noch schwierig und hat eine längere Pause nach sich gezogen (Fahrradfahrer mit Hund ist sehr schnell an uns vorbei gefahren, wir haben uns alle erschreckt und der andere Hund ist dann wild kläffend und in hohem Tempo weitergerann). Aber auch das war nach wenigen Minuten erledigt.

 

Wenn wir in den Bergen unterwegs sind, ist es für mich immens wichtig, dass sich die Hunde an mir orientieren. Gerade in schwierigem Gelände ist meine Aufmerksamkeit nicht immer bei den Hunden. Darum ist für mich das Training an der Orientierung wichtig sowie eine gute Basis in der Beziehung. Neben dem Alltagstraining wie oben beschrieben, müssen natürlich auch ein paar Kommandos sitzen. Für mich wichtig: «Stop», «Weiter», «Auf den Weg» und «Langsam». Diese haben wir natürlich klassisch über Training aufgebaut. Lustigerweise funktionieren diese Kommandos auf den Wanderungen immer super. Besser, als auf Gassi-Spaziergängen. Warum? Weil ich ein Stop- oder Langsam-Kommando im steilen Gelände oder auf engen Wegen so richtig ernst meine. Ich versuche es zwar immer ernst zu meinen, aber die Hunde merken genau, wann es «um etwas geht» und wann nicht. Übrigens, sind diese Kommandos auch bei Jazz im jagdlichen (oder eben nicht-jagdlichen) Kontext am wichtigsten. Zusammen mit dem Kommando «Umdrehen».

 

Und hier kann ich es ja unter uns mal sagen: Meine Hunde kennen kein klassisches «Rückrufkommando». Warum? Weil das dank «Weiter», «Stop» und «Umdrehen» nie wirklich nötig war. Und da mir die Orientierung meiner Hunde an mir so wichtig ist, bleiben sie meistens schon von sich aus in meiner Nähe. Was nicht heisst, dass ein Rückrufkommando nicht wichtig ist. Im Gegenteil, den Aufbau eines zuverlässigen Rückrufs ist immens wichtig. Bei uns hat sich das aber aus oben genannten Gründen erledigt.


Aber, das war und ist ein Weg. Dieser ist manchmal voller Steine und Rückschläge sowie mini-kleinen Fortschritten, was extrem frustrieren kann. Aber, wie bei so vielem im Leben, gilt auch beim Zusammenleben mit Hunden: Der Weg ist das Ziel. Seid stolz auf euren Weg. 

 

So, das war ein kleiner Einblick in meinen «Anforderungskatalog» an meine Hunde. Bei euch wird dieser ganz anders aussehen und das ist gut so. Wir alle leben unser eigenes Leben mit eigenen Anforderungen. Was für uns wichtig ist, ist für euch vielleicht nicht ganz so wichtig. Was für mich nicht so wichtig ist, ist für euch vielleicht sehr wichtig. Darum ist für mich individuelles Hundetraining so wichtig. Im Zentrum stehen ihr, euer Hund und eure Wünsche. Ich messe niemanden an mir oder meinen Hunden und ich messe auch mich und meine Hunde an niemand anderem. Für uns ist unser Zusammenleben so perfekt wie es ist. Und für mich ist es wichtig, das Zusammenleben für euch und euren Hund so angenehm und stressfrei wie möglich zu machen.

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