
Über Hunde, Menschen und das schnelle Urteil
Manchmal habe ich das Gefühl, dass Hundetrainer permanent unter einer Lupe stehen. Als ob der eigene Hund ein wandelndes Zeugnis wäre, das jederzeit „vorzeigbar“ sein muss.
Wenn Rox in die Leine springt oder Jazz den Rückruf mal wieder kreativ interpretiert – dann spüre ich sofort die Blicke. „Wie, das ist eine Hundetrainerin?“
Und ganz ehrlich: Früher hat mich das wahnsinnig gemacht. Heute denke ich mir: Ja, das bin ich. Und genau so echt ist mein Leben.
Hunde sind keine Maschinen – und wir auch nicht
Es ist so leicht zu vergessen: Hunde sind Lebewesen, keine Maschinen. Sie haben Emotionen, Tagesformen, Macken – genau wie wir. Und auch wir Trainer sind nicht fehlerlos. Wir sind Menschen mit unseren eigenen Geschichten, mit guten Tagen, schlechten Tagen und Baustellen.
Es geht nicht darum, dass mein Hund immer perfekt läuft. Es geht darum, welchen Weg wir schon gemeinsam gegangen sind. Und den sieht eben niemand, wenn er nur auf den Status Quo schaut.
Rox – vom Krawallmacher zum Gentleman (Na ja, auf dem Weg dazu)
Rox war früher echt ein kleiner Krawallmacher. Wenn ein anderer Hund kam, stellte er sich auf die Hinterbeine, bellte wie verrückt und zog los, als wolle er die Welt erobern.
Heute läuft er meistens erstaunlich zivilisiert an anderen Hunden vorbei – manchmal sogar an schleifender Schleppleine. Das ist für uns ein Riesenschritt, auf den ich wirklich stolz bin.
Heisst das, er ist „fertig“? Nein. Manchmal stürmt er noch kurz in die Leine und will direkt auf den anderen Hund zurennen. Aber: Es steckt keine böse Absicht dahinter. Es ist Neugier, manchmal Ungeduld.
Aussenstehende sehen nur: „Oh, der Hund ist aber nicht gut erzogen.“
Ich sehe: „Wow, guck mal, wie weit wir gekommen sind.“
Jazz – die Sturköpfin mit Herz
Und dann ist da noch Jazz, meine Jagdhündin. Rückruf? Sagen wir mal so: Sie kennt ihn – aber sie entscheidet gerne mal, ob er heute in ihr Programm passt.
Aber: Sie geht nicht selbstständig jagen. Sie bleibt bei mir, auch wenn sie im Kopf eigentlich schon zehn Rehe und fünf Hasen im Wald zählt. Für mich ist das ein riesiger Erfolg.
Ja, manchmal lasse ich ihr bewusst ihre Sturheit. Weil sie Teil von ihr ist. Weil unser Weg nicht „perfekt“ sein muss, um gut zu sein.
Warum es wertvoll sein kann, „unperfekte“ Hunde zu haben
- Empathie: Trainer mit Hunden, die selbst Schwierigkeiten haben, können die Sorgen ihrer Kunden besser nachvollziehen.
- Praxisnähe: Sie wissen, wie es sich anfühlt, wenn der Rückruf nicht klappt oder Begegnungen stressig sind.
- Vorbildfunktion: Wer zeigt, wie man mit Geduld, Humor und realistischen Zielen arbeitet, vermittelt mehr, als Perfektion es je könnte.
Warum wir alle zu schnell urteilen
Und hier sind wir beim eigentlichen Punkt: Dieses schnelle Urteilen gibt es nicht nur bei Hunden und Trainern.
Wir alle machen das.
„Wie kann sie sich so ein Auto leisten?“
„Warum fährt er schon wieder in Urlaub?“
„Wieso hat ihr Hund das immer noch nicht gelernt?“
Wir sehen nur einen winzigen Ausschnitt, niemals den ganzen Weg. Vielleicht steckt hinter dem Auto jahrelange Arbeit. Vielleicht war der Urlaub ein Geschenk. Vielleicht verzichtet diese Person dafür auf ganz viel anderen «Luxus». Vielleicht hat der Hund schon eine unfassbare Entwicklung durchgemacht, die niemand ausser dem Besitzer kennt.
Für meine KundInnen
Das möchte ich auch euch mitgeben:
Legt nicht zu viel Gewicht auf die Meinung anderer. Ihr seid es, die mit eurem Hund Tag für Tag arbeitet. Ihr seid es, die die Rückschläge kennt – und die kleinen Erfolge, die niemand sonst wahrnimmt.
Seid stolz auf das, was ihr schon erreicht habt. Feiert eure eigenen Meilensteine, egal wie klein sie euch erscheinen. Und vergesst nicht: Der Weg ist genauso wertvoll wie das Ziel.

You May Also Like

Hüftgelenkdysplasie (HD)
16. Oktober 2020
Die Herausforderung bei Hundebegegnungen
12. Juli 2025